Rückblick
In einem Kreis von ca. 10 Personen, die sich für ein mögliches Kirchengründungsprojekt in Nordhessen interessieren, haben wir uns vor einigen Wochen unter anderem mit dieser Fragestellung beschäftigt:
Hierbei haben sich nach dem Clustern der einzelnen Rückmeldungen unter anderem diese zwei Schwerpunkte herausgestellt:
Unisono wünschen sich alle einen Ort der Gemeinschaft in einem kirchlichen Kontext.
Ein persönliches Leben außerhalb einer „Glaubens-Community“ funktioniert für uns eine zeitlang ganz okay und war für einige auch sehr heilsam. Aber trotz einer gewissen Kirchenmüdigkeit sehnen wir uns nach Gemeinschaft in Präsenz.
Als zweiter Punkt wurde „Offenheit“ benannt. Sozusagen als Merkmal der Gemeinschaft, nach der wir uns sehnen.
„Offen für Vielfalt“, „Unterschiede zulassen und akzeptieren“ und „Ein Ort, der für alle offen ist“ sind Stichworte, die in diesem Zusammenhang gefallen sind. Gemeinschaft und Offenheit. Kurze Denkpause. Würde das nicht jede Kirche von sich behaupten? Und auch leben wollen? Natürlich! Und zwar auf ihre Art und Weise.
Können wir tatsächlich „offen für alle sein“? Gibt es das überhaupt? Da kann man jetzt drüber streiten. Was mir aber klar geworden ist und deshalb schreibe ich überhaupt diesen Beitrag: Kirche braucht ein abgestecktes Spielfeld. Auch wenn wir uns eine „Willkommenskultur“ und „Offen für Vielfalt“ auf die Fahnen schreiben. Ein paar Werte gibt es schon zu definieren, für die eine Kirchengemeinde steht.
Kirche braucht ein Spielfeld
Nochmal ein paar allgemeine Sätze zur Offenheit, womit aber auch schon einige Positionen angedeutet werden:
Das Spielfeld
Wie schon gesagt bin ich der Meinung:
Dieses „Spielfeld“ will ich kurz an einem Beispiel erklären: Seit meiner Kindheit bin ich leidenschaftlicher Freizeitkicker. Für die große Karriere im organisierten Vereinssport hat es bei mir aus unterschiedlichen Gründen nie ganz gereicht. Und auch heute meldet sich Hansi Flick nicht bei mir. Wenn wir uns heute als Freizeittruppe treffen, haben wir mittlerweile immer Markierungshütchen dabei. Denn es ist einfach mega ätzend und anstrengend, wenn das Spielfeld ewig breit und nicht klar ist, von wo aus die Ecke zu schießen ist. Zumindest vier Hütchen braucht es, um das Spielfeld abzustecken. Noch besser ist es, wenn dann sowohl an der Torauslinie als auch Seitenauslinie weitere Hütchen positioniert werden. Das macht es bedeutend einfacher und die jeweilige Spielsituation an der Außenlinie übersichtlicher. Natürlich gibt es schon noch die eine und andere Diskussion, ob der Ball nun tatsächlich im Aus war oder nicht. Aber da geht es dann nicht um Zentimeter-Entscheidungen. Und noch nie wurde ein Freizeitkick abgebrochen, weil man sich darüber nicht verständigen konnte. Und so kann sich dann ein dynamisches Spiel innerhalb dieses Spielfelds entwickeln.
Was dieses Bild für mich treffend beschreibt: Wir brauchen keine exakt gezogenen Außen- und Strafraumlinien, also Leitlinien, die exakt beschreiben, was „Aus“ und „Nicht-Aus“ ist und wo ein Foul ein Strafstoß verursacht. Wir brauchen auch keine digitale Torlinientechnik, die noch einmal ein Tor verifiziert. Aber eine Orientierung in Form von Leitpunkten – wie sie die Markierungshütchen liefern – ist nicht nur hilfreich, sondern unumgänglich. Auf diese Leitpunkte bzw. Werte, die für dieses Projekt aus meiner Sicht wichtig sind, möchte ich nun kurz eingehen. Evtl. hilft dir das zur Einordnung, ob das auch dein mögliches Spielfeld sein kann. Dabei möchte ich nicht vergessen zu erwähnen, dass mich Jens Stangenberg mit seinem Artikel „Werte statt Bekenntnis“ dazu stark inspiriert hat.
Spirituelle Antenne
Es ist egal, ob du von „Gott“ oder „G*tt“ sprichst, mit den biblischen Texten vertraut bist oder einen kirchlichen Background hast oder nicht. Es kommt darauf an, dass du eine spirituelle Antenne hast. Neben allem Beweisbaren gibt es für dich etwas Transzendentes.
Jesus als Schlüsselfigur
Es geht eindeutig um Jesus. Aus den verschiedensten Perspektiven kann man auf ihn sehen. Wichtig ist, dass er eine besondere Faszination auf dich ausübt. Und dass du Bock darauf hast, dich von seinen Lehren und seinem Vorbild anstecken zu lassen.
Gottes Handeln
Inmitten unseres Kirchenprojektes erwarten wir das Handeln Gottes. Bei allem, was wir tun, vertrauen wir auf die Inspiration und auch Führung durch Gottes Geist. Im hebräischen wird dazu das weibliche Wort rûaḥ verwendet. Die Grundbedeutung lautet „bewegte Luft“. Wir lassen uns durch diesen guten, tragenden Rückenwind (an)treiben.
Inspirierende Bibel
Über die Inspiration und Entstehung der Bibel gibt es unterschiedliche Theorien. Du solltest eine gewisse Spannung in dieser Frage aushalten können. Und dennoch gehen wir entspannt an die biblischen Texte und lassen uns durch sie inspirieren.
Gemeinsam zum Wir – „Am Du zum Ich“
Die Individualisierung ist ein Megatrend. So wird auch Religion und Spiritualität in einer starken Selbstbezogenheit gelebt. Aber wie weiter oben schon beschrieben, werden wir in Anlehnung an Buber erst „am DU zum ICH“. Doch dabei wollen wir nicht stehen bleiben. Wir wollen gemeinsam zum „Wir“ durchstarten, zur „Gemeinschaft“ werden und die „Weisheit der Gruppe“ nutzen.
In die Gruppe investieren
Auf mydealz werden wir auf die top aktuellen Angebote hingewiesen. Wir studieren Rezensionen, ob ein Produkt das richtige für uns ist und kaufen letztlich dort, wo wir uns das beste Preis-Service-Verhältnis versprechen. Aber wir wollen uns in dieses Projekt unabhängig von einer Kosten-Nutzen-Rechnung investieren. Dabei lassen wir uns gerne durch die „Open Source„-Idee antreiben.
Innovationsbereitschaft
Keine:r von uns ist perfekt. Wir sind selbstbewusst, wollen uns dabei nicht über die anderen erheben, sondern voneinander lernen. Auch mit einem Blick über den Tellerrand hinaus. Wir bringen Veränderungsbereitschaft mit und freuen uns auf das Neue und das, was vor uns liegt.
Laterale Führung
Immer weniger wird laterale Führung als „zahnloser Tiger“ belächelt. Insbesondere bei agilen Prozessen und Teams, die sich selbst organisieren, ist die laterale Führung, also die Führung ohne Weisungsbefugnis, mittlerweile ein zentraler Faktor. So auch bei uns. Es geht dabei nicht um einen Macher, also einen typischen Manager, sondern darum, Impulse zu geben, zu begleiten und einen Entwicklungsraum für andere zu gestalten und abzusichern.
Wissenschaft integrieren
Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung gelten in christlichen Kreisen leider noch oft als verpönt. Wir stehen diesen lernend gegenüber und integrieren sie in unserer Glaubenssuche.
Verantwortungsbewusst glauben
Wir übernehmen Verantwortung für Gottes Schöpfung. So setzen wir uns für eine klimabewahrende und sozialgerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsform ein.
Außerhalb des Spielfelds
Wie oben schon beschrieben, bist du willkommen. Egal wie alt du bist, was du beruflich treibst usw. Das Spielfeld soll für alle geöffnet sein.
Das wird dir sicherlich bei der Frage helfen, ob dieses Kirchen-Startup etwas für dich wäre. Auch dazu fand ich einen weiteren Artikel („Für wen es eher nicht ist…„) von Jens Stangenberg sehr hilfreich.
Kein Kirchen-Bashing
Vielleicht hast du nicht nur positive Erfahrungen mit Kirche gesammelt. Oder vielleicht nervt dich manches an der Kirche, die du kennengelernt hast. Du sollst wissen, dass wir uns nicht durch eine Abgrenzung definieren. Sicherlich gibt es das eine und andere, das wir hinter uns lassen wollen. Aber das heißt nicht, dass wir alles besser wissen und machen. Und deshalb betreiben wir kein Bashing gegen andere Kirchen, denn wir begreifen uns neben allen anderen „Geschwistern“ und Kirchenformen lediglich als ein Puzzle-Stück. Sei bereit, was dich nervt, hinter dir zu lassen. Denk und glaube mit uns nach vorne. Und schau, wie du aktiv einen positiven Beitrag leisten kannst.
Kein Zirkel von Ex-Evangelikalen
In „Über mich und diese Site“ habe ich geschrieben, dass ich mich bewusst für den Ausstieg aus meinem alten evangelikalen Setting entschieden habe. Ich selbst bezeichne mich als „postevangelikal“, weil ich meine evangelikalen Wurzeln nicht verleugnen will, auch wenn ich mich nun für einen progressiveren Weg einsetze. Ich weiß, dass nicht alle wie ich in einem moderaten evangelikalen Setting groß geworden sind. Für andere war es total wichtig, sich aus einem „fundamenatilistischen Glaubenssystem“ zu befreien und sich von der evangelikalen Szene loszusagen. Und Gott sei Dank gibt es sehr gute digitale Formate als Anlaufstelle und Aufklärungsplattform für Ex-Evangelikale. Aber auch hier gilt: Wir schauen nicht ständig nach hinten und verharren nicht in Destruktion. Mach dich mit uns auf den Weg nach vorne. Lass uns gemeinsam die Kirche gestalten, von der wir überzeugt sind.
Kein Sammelbecken für Frustrierte
Daneben gibt es noch weiteres großes Potential für Frustration. Das soll nicht klein geredet werden. Aber in einer Frustrationsschleife hängen zu bleiben, führt auf Dauer zu einer gelähmten und bedrückenden Atmosphäre. Du bist als frustrierte Person gerne willkommen. Aber suche mit uns nach Wegen, aus diesem Frustrationskreis auszubrechen und dich aktiv an deiner und unserer Zukunft zu beteiligen.
Keine Ich-AG und Alphatiere
Wir sind keine Plattform für Selbstdarsteller, die von sich denken, dass sie die coolsten und tollsten sind. Oder denen man nichts mehr beibringen kann, da sie schon alles wissen. Rechne damit, dass wir dich in einem agilen Kontext mit aller geschwisterlichen Liebe zurechtstutzen werden. Es ist uns sehr wichtig, dass wir einen Entwicklungsraum für alle gestalten und absichern.
Kein Missionsfeld
Du weißt ganz genau Bescheid über Gottes Plan, unser (Glaubens-) Leben, die Bibel und wie Kirche auszusehen hat und bist nicht bereit, dich hinterfragen zu lassen, dann bleib uns bitte fern. Denn wir sind kein Missionsfeld für die, die so ticken. Wir begreifen uns als Lernende, die gemeinsam auf dem Weg sind.
Zum Abschluss
Wow, das ist jetzt ein längerer Beitrag geworden. Und vermutlich ist das noch nicht alles vollständig und es kommen im Nachgang noch einige Markierungshütchen dazu. Es war mir an dieser Stelle einfach wichtig, einmal deutlich zu formulieren, was wir uns derzeit (nicht) vorstellen, wenn wir an ein mögliches Kirchengründungsprojekt in Kassel denken. Falls du jetzt immer noch nicht abgeschreckt bist und gar Interesse gewonnen hast, melde dich gerne. Ich freue mich, von dir zu hören!